Rocky Reit im Winkl statt Rocky Mountains. Das amtlich verbriefte Schneeloch ganz im Süden Bayerns im Landkreis Traunstein bietet Tourenski-Fans fluffige Abfahrten auf butterweichem Neuschnee und schont zudem den Geldbeutel. Der Fotograf und Autor Norbert Eisele-Hein ist für uns früh aufgestanden und auf Skitour gegangen, um die deutschen Rockies zu erfahren. Mit dabei Labradorhündin Paula.
Rocky Reit im Winkl. Skigebiet oder Skitour – Das ist hier die Frage
Strahlend blauer Himmel, klirrende Kälte und ein Luxusproblem. Das haben wir gerne, sehr gerne sogar. Bei einem halben Meter Neuschnee auf der Winklmoosalm stellt sich die Frage: Gleich noch mit dem Lift weiter auf die Steinplatte und ein paar schöne Freeride-Varianten aneinanderreihen?
Hinweis zur eigenen Sicherheit: Bei alle Aktivitäten außerhalb des gesicherten Pistenbereichs bist du selbst für deine Sicherheit verantwortlich. Es gibt verschiedene alpine Gefahren, die du selbst beurteilen musst.
Außerdem musst du für den Notfall vorbereitet sein und zumindest die komplette Lawinen-Notfallausrüstung (LVS-Gerät, Sonde, Schaufel) mit dir führen. Falls du unsicher bist und noch keine Erfahrung hast, empfehlen wir dringend, nur Touren im Pistenbereich durchzuführen oder einen Guide (staatlich geprüften Berg- und Skiführer) zu buchen.
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Oder doch die Felle aufziehen und mit Muskelkraft aufs 1.776 Meter hohe Dürrnbachhorn? Der Anstieg ist noch unangetastet - es winkt ein jungfräulicher Gipfelhang. Ganz klar, wir wählen die Skitour und so viel vorweg: Es ist die richtige Entscheidung.
Rocky Reit im Winkl Tour 1: Zum 1.776 Meter hohen Dürrnbachhorn
Ein echtes Schneeloch, jawohl. Ein amtlich verbrieftes noch dazu. Das ist Reit im Winkl. Wie heißt es so schön im meteorologischen Fachjargon „das Phänomen der Kaltluftseen“ sorgt für vermehrten Schneefall. Und in der Tat. Der Maserer Pass bildet im Winter häufig die Grenze. Diesseits dominiert häufig noch Grün. Jenseits im Mikroklima von Bayrisch Sibirien müssen Wintersportler für die letzten 10 Kilometer Schneeketten aufziehen und es herrscht häufig Powder-Alarm.
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Seit die leider bereits verstorbene Rosi Mittermaier 1976 bei der Olympiade in Innsbruck jede Menge Edelmetall abräumte, sind die Winklmoosalm und Reit im Winkl ohnehin ein feststehender Begriff im Wintersport.
Wir spuren leicht ansteigend an den letzten Höfen der weltberühmten Hochalm vorbei. Auf den Heustadeln formiert sich die weiße Pracht zu märchenhaften Wattebäuschen. Dort, wo der Wind ein wenig modellieren durfte, haben sich regelrechte Elvis-Tollen aus rein weißem Pulver gebildet.
Wir passieren den nostalgischen 1er-Sessellift. Zum Glück läuft er nur im Sommer, sonst wäre unser Hang garantiert bald entweiht. Der Ziehweg durch den letzten Bannwald entpuppt sich als romantisches Wintermärchen. Die tief verschneiten Tannen mit ihren ausladenden Ästen sehen aus wie Michelin-Männchen im Wintermantel.
Die ersten Sonnenstrahlen irrlichtern durch das Dickicht und zeichnen wilde Schatten auf den glitzernden Schnee. Wacker stapfen wir durch den folgenden Kessel, wechseln uns immer wieder beim Spuren ab, denn die Arbeit im knietiefen Neuschnee kostet Körner.
Bald schon wird das gleichmäßige Skianheben, Gleiten und Schnee nach unten drücken zur Meditation. Im Zickzack vieler Spitzkehren gewinnen wir auf dem Südrücken rasch an Höhe. Herausragende Latschenbüsche demonstrieren, wie kreativ Wind, Schnee und Frost doch gestalten können.
Die Zweige sind mustergültig angeraut, sieht fast so aus, als trügen sie windschnittige Spoiler. Wir winden uns um ein paar letzte Baumgruppen und schon lächelt uns das hölzerne Gipfelkreuz entgegen.
Wir sind die ersten und einzigen. Nur ein paar Hundert Höhenmeter weiter unten spurt sich eine weitere Gruppe bergan. Das lässt uns Zeit für eine dampfende Tasse Tee aus der Thermoskanne und eine vollgestapelte Käsesemmel. Dazu gibt es ein überwältigendes Panorama.
Fein ziseliert läuft der Gipfelgrat luftig und exponiert wie eine Himmelsleiter rüber zum Sonntagshorn, mit 1.961 Metern der höchste Gipfel des Chiemgaus.
Direkt dahinter baut sich das Who-is-Who der Berchtesgadener Alpen auf, allen voran die Platzhirsche Watzmann, Hochkalter und die Reiter Alm. Auch der Tiefblick ist erstklassig. Offenbart er doch drei funkelnde Eisflächen, die mit mäandernden Flussläufen verbunden sind.
Die Riviera Reit im Winkl, die im Sommer wie Smaragde schimmernde Seentrilogie aus Weit-, Mitter- und Lödensee, ruht in diesem tief eingekerbten Tal im Hochwinter in eisig-erstarrter Stille.
Doch schon dringen Stimmen zu uns herauf. Die Verfolger sind schnell. Jetzt aber. Felle runter und Reißverschlüsse bis zum Anschlag hoch. Rein in das Sahnehäubchen aus satten 600 Höhenmetern makellosem Powder. Der frische, über kniehohe Pulver lässt die Glückshormone jubilieren.
Der Schneestaub wandert über die Funktionsklamotten hoch, beißt frostig ins Gesicht und erhöht die Endorphinaussschüttung. Erst unten im Kessel endet der weiße Rausch. Mit brennenden Schenkeln fallen wir in der nahen Traunsteiner Hütte ein. Dort zaubert uns der Hüttenwirt Marko Achilles einen wohlduftenden Kaiserschmarrn, der ebenso fluffig auf der Zunge zergeht.
Kurzprofil: Skitour Dürrnbachhorn
- Schwierigkeit: schwer
- Distanz: 15,0 Kilometer
- Dauer: 3:30 Stunden
- Höchster Punkt: 1.763 Meter
- Niedrigster Punkt: 768 Meter
- Höhenmeter: 1.026 hm aufsteigend
- Höhenmeter: 1.027 hm absteigend
- Startpunkt: Seegatterl
- Ort: Reit im Winkl
- Skitour Dürrnbachhorn
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Rocky Reit im Winkl Tour 2: Mit dem Lift auf die Steinplatte
So gestärkt packen wir noch ein Zuckerl obendrauf. Shutteln mit den Liften auf die 1.869 Meter hohe Steinplatte. Dort oben offenbart sich ein überwältigendes 360 Grad-Panorama. Ehrfurchtsvoll pfeifen wir durch die Zähne.
Dabei explodieren kleine Atemwölkchen wie Sternenstaub. Wuchtig wie die kanadischen Rocky Mountains wirken die zum Anfassen nahen, komplett überzuckerten Loferer Steinberge.
Direkt im Süden recken die Hohen Tauern ihre blinkenden Zähne in das tiefe Blau. Besonders markant blitzt der Großvenediger mit seiner kühnen Schneide hervor. Davor bauen sich noch die Zillertaler Alpen auf.
Über die Südhangabfahrt Nr. 7 rocken wir Richtung Steilabstürze der Steinplatten-Südwand, im Sommer ein Dorado für Felskletterer und Klettersteig-Freaks. Wir schultern kurz die Ski, steigen mühsam ein paar Höhenmeter auf und landen am Vorgipfel.
Hier sind wir natürlich nicht mehr die ersten, aber die Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt haben den Schnee gut konserviert. Verspurt, aber immer noch zuckrig, liefert er eine butterweiche Schneedecke. Erst am Kammerkör verlassen wir die kurze, aber durchaus lohnende Variante und schwingen über die Piste runter zur urigen Stallenalm, wo dieser perfekte Tourentag endet.
Kurzinfo Skigebiet Steinplatte:
- Charakter: Familienskigebiet
- Höhen: 750 bis 1.900 Meter
- Pistenkilometer: 50 km
- Lifte: 9 Sessellifte und 2 Schlepplifte und 2 Gondelbahnen
- Startpunkt: Seegatterl
- Ort: Reit im Winkl
- Mehr zur Winklmoosalm
Rocky Reit im Winkl Tour 3: Zur Hemmersuppenalm über die Nattersbergalm
Auch der dritte Streich tags darauf offenbart sich als prächtiges Wintermärchen. Vom Tourenparkplatz in Seegatterl steigen wir über die Nattersbergalm zur Hemmersuppenalm auf. „Ja, so eine Hemmersuppe“, entfuhr es den Bauern aus dem Tal früher spöttisch beim Anblick der weitläufigen Alm hoch über Reit im Winkl.
Ist der Hemmer oder auch Weißer Germer genannt doch ein arges Unkraut. Grün, knapp kniehoch und selbst für einen geduldigen Kuhmagen ungenießbar. Nach starken Regenfällen bilden sich in den vielen Mulden der sanft gewellten Hochalm noch dazu große Pfützen, die in Bayern gerne mit dem Ausspruch „A so a Supp’n“ bedacht werden.
Damals gestattete die tägliche Mühsal der Almbauern nur selten einen schwärmerischen Blick in die paradiesische Landschaft. So wurde der Spott zum Namensstifter. Heute jedoch würden jene Unkenrufer große Augen machen. Zumal die sechs Kilometer lange Panoramarunde rund um die Hemmersuppenalm unlängst mit dem Gütesiegel „Erster Premium Winterwanderweg Deutschlands“ ausgezeichnet wurde.
Wir schwenken allerdings schon bald ab und ziehen unsere Spuren durch den Wald hoch zur Eggenalm und zum Straubinger Haus. Diese liegt bereits auf Tiroler Boden und bleibt im Winter leider verschlossen. Wir folgen der vorbildlich angelegten Spur knappe 40 Minuten bergauf.
Oben am langen Gipfelgrat wölben sich monumentale Wächten über den Abgrund. Vorsicht, lieber einen ordentlichen Sicherheitsabstand einhalten.
Der Blick in die Gipfelrunde verleitet abermals zum Schwelgen. Wir sind auf Augenhöhe mit dem stark eingekerbten Wilden Kaiser. Wie ein sagenumwobener Monolith wächst er solitär aus der Ebene hervor. Linker Hand ragt das Kitzbühler Horn in den heute leicht dunstigen Himmel.
Was für ein Luxusprogramm: eine Flanke mit knietiefem Schnee, der immer noch hübsch staubt. Gefolgt von einer Passage feinstem "Tree-Skiing". Dann lassen wir es kurz laufen, noch ein paar Doppelstockschübe und schon landen wir in der legendären Hindenburghütte.
Danach müssen wir zwar nochmal kurz die Felle aufziehen für die finale Abfahrt. Aber die saftigen Braten und der hausgemachte Millirahmstrudel aus dem riesigen Holzofen sind den Abstecher unbedingt wert. Vorsicht: Der Hüttenwirt und Multiinstrumentalist Günter Dirnhofer und seine Kollegen spielen häufig ordentlich auf. Bei dieser Stimmung herrscht höchste Verhock-Gefahr und manche Gäste brauchen für die Abfahrt schon eine Stirnlampe.
Kurzinfo Skitour Hemmersuppenalm über Nattersbergalm
- Schwierigkeit: mittel
- Distanz: 9,0 Kilometer
- Dauer: 2:30 Stunden
- Höchster Punkt: 1.759 Meter
- Niedrigster Punkt: 762 Meter
- Höhenmeter: 1.042 hm aufsteigend
- Höhenmeter: 53 hm absteigend
- Startpunkt: Seegatterl
- Ort: Reit im Winkl
- Skitour Nattersbergalm-Hemmersuppenalm-Fellhorn
- Den aktuellen Lawinenlagebericht bekommst du beim Lawinenwarndienst Bayern
Rocky Reit im Winkel: Weitere Infos
Tourist-Info Reit im Winkl
Dorfstraße 38
83242 Reit im Winkl
Tel. +49 (0) 8640 / 80020
Reitimwinkl
Alpengasthof Hindenburghütte
Günter Dirnhofer
Waldbahnstr. 6
83242 Reit im Winkl
Tel. +49 (0)8640/ 8425 oder 1
Hindenburghuette
Traunsteiner Hütte (1.160 m) des Deutschen Alpenvereins auf der Winklmoosalm
Marko und Daniela Achilles
Dürrnbachhornweg 14
D - 83242 Reit im Winkl
Tel.: +49 (0) 8640 / 8140
Traunsteinerhuette-winklmoosalm
Mehr zum Fotograf und Autor der Story
► Norbert Eisele-Hein
Haftungsausschluss: Diese Tour(en) wurde(n) nach bestem Wissen aufbereitet. Eine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben wird dennoch nicht gegeben. Das Befahren und Begehen erfolgt stets auf eigene Gefahr. Lies hier den vollständigen Haftungsausschluss.
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