Im test

Test: SELLE ITALIA Model X Green Comfort+ Superflow - Fahrradsattel

SELLE ITALIA Model X Green Comfort+ Superflow - Fahrradsattel
Fokus auf Komfort u. Nachhaltigkeit, leider mit Abstrichen
Bewertung Ø: 4.00 Sterne

Vorteile

  • komfortabel (Total Gel)
  • umweltfreundlich (ohne Klebstoffe, Polyurethane)
  • gelungene Form mit Cutouts
  • flexibler aber fester Aufbau
  • nachhaltig / gut recyclebar
  • nicht zu weiches Polster

Nachteile

  • wirklich schwer (415 g)
  • nicht zur Montage von Taschen etc. geeignet
  • nicht sehr stylisch (Geschmackssache)
  • nur in einer Größe erhältlich (L3)
  • nicht ganz einfach zu montieren
  • wenig Flex (dafür gutes Polster)

Bewertung

Der Sattel ist unter den drei Kontaktpunkten eines Fahrrades wohl der Wichtigste. Klar, Handgelenkschmerzen und eingeschlafene Finger möchte ich keinem wünschen, und die Kraftübertragung über steife Schuhe und sichere Pedale ist das, was uns voranbringt. Doch wer schon die ein oder andere etwas längere Tour gedreht hat, wird gemerkt haben, was schnell zum begrenzenden Faktor für ausgedehnte Zeiten und Strecken wird.

Natürlich lassen sich Sitzprobleme mit Chamouis-Creme und Bib-Shorts lindern, doch das Fundament bildet ein guter und vor allem passender Sattel. Ich habe dieses Modell mit auf eine wahre Grenzerfahrung genommen. Mit dem Rennrad von Hamburg nach München - mit 761 km, 5670 hm, 40:45 h Fahrzeit und 60 h insgesamt und ganzen 2 h Schlaf - hatte ich ausreichend Gelegenheit zu ergründen wie viel Comfort+ in diesem Sattel steckt.

Sonnenaufgang Radtour Hamburg MünchenTest Setup für 761 km am Stück

Passform und Performance

Der Sattel selbst weißt eine ausgeklügelte Form auf. Etwas kürzer und breiter als herkömmliche Rennradsättel mit einer Wellenform im Profil und großzügigen Cutouts. Da jedoch jeder eine individuelle Sattelform zwecks Passgenauigkeit bevorzugt, gehe ich einmal kurz auf die einzelnen Aspekte ein.

Natürlich ist der Sitzknochenabstand bei jedem etwas unterschiedlich und da es diesen Sattel nur in der Größe L3 gibt, passt er sicher nicht jedem. Etwas breiter finde ich aber prinzipiell auch bequemer. Die kurze Nase zusammen mit den Cutouts ermöglicht es gebeugter zu sitzen. So etwas kann aus aerodynamischer Sicht gewollt sein, führt aber auch wieder dazu, dass die belasteten Stellen der Sitzknochen enger beieinander sind. Die Cutouts selbst dürften für viele ein Game-Changer sein. Jedoch kann die mit der Entlastung des weichen Gewebes einhergehende Druckerhöhung auf den schmalen Kanten des Sattels auch zu Problemen führen. Die leichte Wellenform selbst finde ich hingegen nur vorteilhaft. Etwas mehr Belastung auf den Sitzknochen, etwas weniger im mittleren Bereich und das ohne eine zu deutliche Stufe zu verbauen.

Passt der Sattel erst einmal, so kann er seine Vorteile auch gnadenlos ausspielen. Mir kommt es jedoch so vor, als würde hier viel aus dem Gel Polster und wenig aus der Konstruktion an sich kommen. Der Sattelaufbau an sich wirkt eher steif, wobei das Gel Polster einiges an Vibrationen und Stößen einstecken kann. Es polstert sehr gut und ist dabei zugleich hart genug, sodass die Sitzknochen nicht zu weit einsinken und sich der Druck wieder auf das weiche Gewebe drum herum verteilen würde. Sehr gelungen!

Draufsicht montiertSattel Seitenansicht

Features

Oberfläche: Die Oberfläche fühlt sich angenehm an und ist vor allem rutschfest. Sie gleicht mehr glattem Silikon als klebrigem Gummi, ist leicht texturiert und seitlich mit einem dezenten Logo versehen.

Gel: Das wirklich dicke Gel-Polster fühlt sich nicht zu weich an. Stöße und Vibrationen kann es daher gut aufnehmen, ohne das die Sitzknochen zu weit darin versinken.

Cutouts: Die großzügigen Aussparungen schonen die Weichteile, bringen mehr Belastung auf die Sitzknochen und ermöglichen eine gebeugt sportliche Haltung auf dem Fahrrad.

Trägerplatte: Die Platte aus Kunststoff macht einen massiven Eindruck. Zwar flext der Sattel an sich etwas, doch scheint die Platte vor allem auf Langlebigkeit getrimmt zu sein.

Rahmen: Die Metall-Schienen sind bis auf eine aufgedruckte Skala nicht lackiert. Ob sich hier Rost bilden kann wird sich im Langzeittest zeigen müssen. Die Montage funktioniert einigermaßen gut, es ist aber nicht viel Platz zwischen den Kunststoffeinbettungen.

Ösen: Die zwei schmalen Schlitze an der hinteren Unterseite des Sattels eignen sich vielleicht zum Anbringen einer einfachen Werkzeugtasche, deren Klettriemen nur hindurchgefädelt werden müssen. Ich konnte hieran jedoch weder meine Werkzeugtasche noch meine Arschrakete (Satteltasche) befestigen. Beide sind von Ortlieb und benötigen Metall-Schienen, die bis nach ganz hinten und oben reichen, um die Basis anschrauben oder die Riemen mit Klickschnalle hindurch fädeln zu können.

Sattel obere SeitenansichtBefestigung der Arschrakete mit Kabelbindern

Einsatzbereich

Der Sattel leistet in etwa, was sich anhand der Werbung und Herstellerbeschreibung erwarten ließe und ist natürlich für den einen Zweck besser geeignet als für den anderen. Beworben wird er in Richtung Cycle Touring auch in Richtung Endurance und vor allem auch für E Bikes.

Alltagsfahrten: Der zusätzliche Komfort ist auf kurzen Strecken sicher nicht nötig, ermöglicht aber ein angenehmes Fahren, ohne das Chamoui / Bib-Shorts die Sache abpolstern müssten.

Sportliche Fahrten: Für mein Rennrad finde ich den Sattel eher unpassend. Selbst ausgedehnte Tagestouren kann ich dank etwas Abhärtung bequem mit einer Bib-Shorts bestreiten und das hohe Gewicht gefällt mir hier gar nicht. Auch wenn die Kurze Nase und die Cutouts eine sportliche Sitzposition erleichtern.

Bike Packing Touren: Auf längeren Touren, auf denen ich weniger auf das Gewicht schauen würde, fände ich den Sattel absolut angebracht. Hier stellt sich aber die Problematik, dass sich meine Taschen nicht an diesem Sattel montieren lassen.

Gelände-Fahrten: Absolut großartig finde ich diesen Sattel auf meinem Monster Gravel Bike. Die dicken Reifen und der gefederte Vorbau werden dabei sehr passen durch den bequemen Sattel ergänzt. Anspruchsvolle und längere Tagestouren können somit deutlich körperschonender bestritten werden.

Setup für Bike PackingMontageschlitze mit Kabelbinder

Material

Der Sattel ist auffällig simpel aufgebaut. Die Stahlstreben für die Montage sind im Kunststoffkörper eingebettet und das Polster sitzt oben auf. Keine Kleinteile, Klebestellen oder Schrauben... Es macht den Eindruck, als sei der Fertigungsprozess recht simpel und ein einfaches Zerlegen und Recycling machbar.

Der Bezug aus Green-Tech ist ein einziges mindestens 1 cm dickes Gel-Polster mit rutschfester fast silikonähnlicher Oberfläche.

Der Rahmen aus Kohlenstoffstahl, einer FeC-Legierung, ist über eine Länge von 8 cm sichtbar und mit einer Skala bedruckt. Stahl ist stabil, flexibel und recyclebar. Zudem ist er nicht so energieaufwändig in der Herstellung, wie Alu oder Carbon.

Der Körper selbst ist aus recyclebarem Kunststoff gegossen und die ganze Konstruktion kommt ohne Klebstoffe oder Polyurethane aus. Dadurch kann die potentielle Umweltbelastung durch solch problematische Stoffe ausgeschlossen werden.

In Sachen Ressourcen-schonende Herstellung, Umweltfreundlichkeit und Nachhaltigkeit setzt der Sattel definitiv einen neuen Maßstab.

Montage an StahlschienenDetail Seitenansicht

Daten

Gewicht: 415 g (Herstellerangabe)

Maße: 14.5 x 24.5 cm (Herstellerangabe)

Durchmesser: 7 mm (Rahmen)

Materialien: Green-Tech (Total Gel Bezug), FeC-Legierung (Kohlenstoffstahl Rahmen)

selle italia idmatch-Größe: L3

Made in Italy

Zur Pflege des Sattels macht der Hersteller keine Aussage. Scheint auch nicht nötig, da der Sattel wasserfest ist und kein Leder oder andere anfällige Materialien verbaut sind. Jedoch hat sich bei mir seitlich innen und außen an der Nase ein klebriger Belag gebildet, der sich jedoch leicht abschaben lässt. Ein regelmäßiges Abwischen im Zuge der Fahrradwäsche wäre also von Vorteil.

Ansicht UnterseiteAufdruck Recyclable

Claims

1. Komfortabel

Antwort: Der pure Komfort lässt sich bei Fahrradsätteln prinzipiell nicht kaufen. Ein weicherer Sattel führt immer dazu, dass die Sitzknochen einsinken und der Druck auf dem weichen Gewebe drum herum unangenehm ansteigt. Dieser Effekt wird hier aber geschickt durch großzügige Cutouts kompensiert. Well done!

2. Umweltfreundlich

Antwort: Eine Konstruktion die von vorn herein ohne potentiell problematische Stoffe wie Kleber oder Polyurethane auskommt ist per se schon Mal ne gute Sache. Auch in Punkto Nachhaltigkeit ist eine so simple und einfach zu trennen Konstruktion von Vorteil. Die Kunststoffplatte, vermutlich aus PE-HD Polyethylen (Zahl 2), scheint jedenfalls gut recyclebar zu sein.

3. Schnelle Herstellung

Antwort: Die einfache Konstruktion aus in einen Spritzguss eingebetteten Metall-Schienen mit einem Polsterbesatz scheint tatsächlich simpel und somit auch ressourcenschonend in der Herstellung zu sein.

4. Preistechnische Konkurrenzfähigkeit

Antwort: Mit einer UVP von 60 € sprengt der Sattel absolut nicht den Rahmen.

5. E-Bike-Eignung

Antwort: Da würde ich den Sattel auch am ehesten verorten. Komfortabel im Alltag ohne extra Fahrradbekleidung und an einem Rad, bei dem das Gewicht keine Rolle spielt, das zum einen bereits über Licht verfügt und zum anderen auf am Sattem montierbare leichte Bikepacking-Taschen verzichten kann.

KunststofftypAbrieb klebrig

Kombi mit Polstern

Ein so bequemer Sattel muss natürlich nicht zwingend mit einem Chamous / einer Bib-Shorts kombiniert werden. Für längere Fahrten bietet sich das aber definitiv an. Auf meiner 60 Stunden Fahrt habe ich über zwei Dritteln der Zeit sogar 2 Polster-Hosen getragen, da ich meine Winterhose einfach über die Sommerhose gezogen habe. Zum einen bin ich so nur halb erfroren, zum anderen sind zwei Polster auch nicht verkehrt. Vor Sitzproblemen auf den letzten paar dutzend Kilometern hat mich aber auch das nicht bewahrt.

Vergleich ich dieses Erlebnis aber mit meiner 500 und meiner 600 km Fahrt letztes Jahr auf dem hier unten gezeigten alten Selle Italia Sattel hat sich doch einiges getan. Die Schmerzen waren damals trotz Gel-Polster Überzieher unglaublich viel schlimmer.

mein alter Selle Italia SattelPolsterhose

Härtetest

Eine Fahrt, wie die Ende Oktober / Anfang November von Hamburg nach München muss man erstmal aussitzen. Die Steigungen im Harz und im Thüringer Wald, die eiskalten Abfahrten in der ersten und zweiten Nacht oder der brutale Schlafmangel in der dritten Nacht sind das eine, aber tagelanges Sitzen in derselben Position auf einem schmalen Sattel ist die Härte.

Zuvor auf dem Gravel Bike und auf kurzen Fahrten getestet, habe ich hoch gepokert, als ich noch am Vorabend der Tour diesen Sattel auf mein Rennrad geschraubt habe. Und auf den ersten 50 km dachte ich, ich hätte mir damit sowas von ins Knie geschossen. Ungewohnt, ungemütlich, fast schmerzhaft fühlte es sich an. Ob dies jedoch dem Sattel oder vielmehr dem 100 km Lauf von vor 2 Wochen geschuldet war, konnte ich nicht ganz ausmachen.

Sicher ist jedoch, so langsam fanden meine Sitzknochen und das Sattelpolster zusammen und dann ging es immer besser. Im Endeffekt rechne ich vieles was auf der Tour gut lief dem Sattel zu. Natürlich hatte ich auch eine zu weilen sogar zwei Bib-Shorts mit anständigen Polstern an. Aber das meiste muss doch der Sattel leisten. Und Sitzprobleme traten erst auf den letzten paar dutzend Kilometern auf, was diese Tour im Großen und Ganzen erst möglich gemacht hat.

HH München 761 km 1HH München 761 km 2

Resümee

Ich bin etwas zwiegespalten: Wäre der Sattel nicht so schwer und ließen sich Taschen anständig montieren, so wäre dies der perfekte Sattel für mein Monster Gravel Bike. Er ist bequem, passt mir und federt so einiges ab, genau das Richtige für gemütliche, längere oder geländetechnisch anspruchsvolle Touren. Und die Argumente bezüglich Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind keineswegs von der Hand zu weisen. Daher werde ich ihn ab jetzt für Tagestouren auf meinem schweren Gelände-Rad nutzen, mich beim Rennrad jedoch ganz auf einen anderen Sattel verlassen und für Bike Packing Touren erneut auf die Suche nach einem Sattel mit durchgehenden Schienen für die Montage einer Arschrakete machen.

 

 

Wie wurde das Produkt erworben?Ich bin ProduktScout - zum Testen von OUTSIDEstories
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Respekt vor diesem Satteltest: 761 Kilometer, 5670 Höhenmeter, 40:45 Stunden Fahrzeit und nur 2 Stunden Schlaf in 60 Stunden sprechen für sich. Danke für diese tolle Bewertung!

Hey Kai, besten Dank für die netten Worte. War natürlich ne einmalige aber auch absurde Situation für einen Produkttest. Und trotzdem kam ich auf kein wirklich klares Ergebnis, etwas ärgerlich. Ich hab den Sattel letzte Woche noch mit auf eine zweitägige 200 km Graveltour genommen und dachte am ersten Tag "mega guter Sattel" und am zweiten dann wieder "der Sattel taugt nichts". Vielleicht taugen so extreme Tests dann wieder nichts, wenn das Produkt nur für hohen Komfort auf eher kurzen Strecken gedacht ist.. wer weiß.

Tja, bei dem Sattel geblieben bin ich nicht so lange.. mittlerweile habe ich auf Renn- und Gravel-Bike einen Sattel, der von Cut-Out und kurzer Nase her relativ ähnlich aussieht, jedoch nicht ganz so weich und für mich etwas besser geformt ist. Eine Arschrakete oder 2 Flaschenhalter lassen sich daran auch besser befestigen. Aber vor allem habe ich damit 925 km von Flensburg nach München geschafft, ohne das ich danach Sitzbeschwerden gehabt hätte. Zwar auch mit entsprechend guter Hose, aber ohne Chamois Creme.

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